Am Abgrund: Auszüge aus Klettes Filmtagebuch

13.1.15

Tage vor Drehstart. Wir sind – auch mit den Produktionsbüros – nach Schöneberg umgezogen. Ins Hauptmotiv in der Belziger Straße. Feinste Bauhausarchitektur, meinem Filmhelden ebenbürtig.

Interessant ist, dass ich beim Schreiben des Drehbuchs immer schon dieses Gebäude vor Augen hatte. Niemand glaubte, dass man darin drehen kann, die Telekom hatte alles in Beschlag. Nach diversen Motivbesichtigungen am Arsch der Welt, versucht Annette Lofy, die Ausstatterin, es dennoch. Und siehste, die Telekom ist dabei auszuziehen und jetzt sind wir hier, in der Belzigerstraße.

Ein Wermutstropfen dennoch, während ich das Buch schrieb, wohnte ich zehn Gehminuten vom Motiv entfernt. Jetzt bin ich mit meiner Familie nach Pankow gezogen, ans andere Ende der Stadt …

15.1.15

Die Produktion ist noch mal über den Drehplan gegangen: das Buch ist in der Drehzeit (24 Tage, plus drei Tage Norwegen) nicht zu machen. Fünf Drehtage müssen raus aus dem Buch. Ja und? In einer Woche soll die erste Klappe fallen. Wut. Verzweiflung. Was soll ich jetzt streichen? Auf die Schnelle?! An dem Buch habe ich zwei Jahre gearbeitet.

Klausur mit Ralf, meinem Kameramann. Nach dem Gießkannenprinzip streichen, würde die Architektur des Buches zum Einstürzen bringen. Wie dann? In meiner Verzweiflung schlage ich vor, allen Personen außer Solness und Hilde, die Privatlines zu streichen. Aber kapiert man dann die Figuren in ihrem Handeln noch…? Ralf bleibt erstaunlich locker: „Musst Du eben alles inszenieren.“ Klar, wenn ich rechnerisch pro Szene maximal 20 Minuten Zeit für´s „inszenieren“ habe. Okay, ich streiche also die Privatlines. Das ist ´ne Menge Holz. Reicht aber noch nicht!
Ich muss wohl ran an das Herzstück des Films. Die Abendmahlszene. Habe ich vor zwei Jahren im dänischen Exil geschrieben. Das sind 17 Drehbuchseiten, heißt drei Drehtage. Schaffen wir das an einem? Irrsinn!!!
Die Szenen, in denen Solness von den Nerds demontiert wird, sollten eigentlich hoch aufgelöst werden. Daraus wird wohl nichts. Ralf moniert, das wäre auch gut so, denn das hätte Lars von Trier bereits in „Melancholia“ gemacht. Ach, der Lars …

Nach weiteren fünf Stunden, denken wir „radikal“. Wie wär´s, alles in EINER Einstellung zu drehen. In Echtzeit! Das gab´s noch wie! „Noch nie“ – na ja . Das bedeutet aber, Schauspieler, die im Film noch nie zusammengekommen sind, müssen komplette 17 Drehbuchseiten durchspielen. Und ich kann hinterher NICHT schneiden.

Weitere Stunden später. Wir wollen nun die Szenen in drei langen Plansequenzen drehen. „Gab´s auch noch nie“. Die Kamera soll am Kran über der langen Esstafel schweben. Hin – zurück – hin. Das heißt, Solness, der an der Stirnseite sitzt, wäre IMMER im Bild. Kann er dabei die Spannung halten? Was wenn einer Texthänger hat?

16.1.15

Die ganze Maschinerie fährt langsam hoch. Das spüren alle. Die ersten Schauspieler trudeln ein, zur Kostüm – oder Maskenprobe. Man plaudert schon mal locker über die Rolle, tastet sich ab, nähert sich an.

Sarbacher zum ersten Mal im Kostüm. Er hat sich Bart und Haare für die Rolle wachsen lassen. Verwegen. Ich wollte immer, dass Solness so einen Kamelhaarmantel trägt, wie Marlon Brando im „Letzten Tango“.
Aber auf der Stange hängt nur Humana Secondhand Zeugs.
„Mehr können wir uns nicht leisten“ – Scheiße, dann müssen wir eben länger suchen…

Dieter Meier, „Yellow Meier“, hat Koffer voller Klamotten dabei. In den Klamotten wird er sicherlich super rüberkommen, schließlich ist Knut ja ein cooler Hund. Dieter probiert alles. Okay gekauft.

17.1.15

Es soll ein Winterfilm werden, doch von Winter keine Spur. Mischmaschwetter. Wenn es dann doch irgendwann schneit, könnten wir Anschlussprobleme kriegen. Und das bei einem Etat von knapp 500.000 Euro! Keine Chance auf eine zweite Chance.

Die Motive sind noch nicht ausgestattet. Man stolpert derzeit über Maler und Dekorationsbauer. Die alte Autowerkstatt soll der große Atelierraum werden. Durch die kaputten Scheiben zieht es wie Hechtsuppe. Von Heißlüftern ist die Rede. Bei 350 qm. Ich bin skeptisch.

Abends im Stil Werk Kantstraße. Wir suchen etwas imposantes, wo wir die Duschszenen mit Sarbacher und Doris Schretzmeyer drehen können. Ich stehe mit Ralf, Annette und einigen Assistenten in einer ca. 25 qm großen Duschzelle. Purer Luxus, die komplette Decke ist eine Regenwand. Die Filialleiterin des Luxusshops zwitschert, wir könnten nach Ladenschluss jederzeit hier drehen. Offenbar sind solche „Duschabende“ gar nicht ungewöhnlich. In ihrem kurzen Designerkleidchen schaut sie uns an, als ob sie gleich mit uns duschen wollte. Ich sage, wir müssen es uns noch überlegen…

19.1.15

Es gibt Probleme. Wieder mal. Diesmal wegen der Rolle des Immobilienhais. Keine große Rolle, aber der Typ sollte imposant sein. Ralf kennt einen deutschsprachigen Schauspieler aus London. Sieht aus wie Cumberbatch, hat sogar im „Sherlock Holmes“ mitgespielt. Und er ist grade in Berlin.

Am Abend diesen Cumberbatch Typen getroffen. Ein Snob, fein. Freundlicher Kerl, will ohne Geld spielen. Na, das wird die Produktionsleiterin doch freuen…

20.1. 15

Der Drehplan für die erste Woche steht. Ich werde zuerst alle Szenen mit dem Kind (junge Hilde) drehen. „Als warm up“ meint Lehwald. Der hat auch Ringe unter den Augen.

Der Atelierraum ist immer noch im Rohbaustadium. Der Bühnenbauer versichert mir, alles im Lot! Hoffentlich. Annette zeigt mir Fotos von edlen Möbeln, Bauhaus & Patina. Passt zu einem wie Solness. Dass die Möbel bald in der arschkalten Tiefgarage stehen werden, die gerade in Solness´ Privaträume verwandelt werden … Stöhn.

Nächste Hiobsbotschaft von der Produktionsleitung. Sämtliche Nerds – also Solness´ junge Arbeitssklaven – müssen umbesetzt werden. Ich flippe aus. WARUM? Man kriegt sie zeitlich nicht unter einen Hut. Verdammt. Die Zeit läuft mir weg.

Den ganzen Nachmittag Casting. Mir schwirrt der Kopf.

21.1.15

Die „Parisbar“ als Motiv für „Solness Stammlokal“ fällt aus. Nach großartigen Versprechungen, will der Besitzer nun doch Geld sehen. Tja, der Mensch lebt halt nicht vom Brot allein. Keine Ahnung, wo wir nun Ersatz herkriegen. Für unsren Dreh bräuchten wir ein Lokal, dass uns eine ganze Nacht und einen Morgen drehen lässt. Und dann noch ein paar Stunden, wenn Sarbacher die Glatze geschnitten wurde. Das geht aber nur an einem bestimmten Tag. Mit zwanzig Statisten. Und das Lokal müsste so aussehen, wie die Parisbar … Weitersuchen!

Dafür haben wir endlich das Motiv „Wohnung in Lysanger“ gefunden. Die Innenaufnahmen für Norwegen werden im Literaturhaus in der Fasanenstraße stattfinden. Kost nix! Ausschlaggebend für unsere Suche war immer, dass es einen großen Kamin gibt, vor dem die junge Hilde sich mit einer Katze im Arm räkeln soll.
Es gibt einen wunderbaren Kamin. Einen sensationellen Kamin. Der ist aber nicht mehr an den Schornstein angeschlossen. Wir werden es mit Ethanolfeuer versuchen …
Jetzt muss ich nur noch meinen Sohn Paul überreden, dass er seine Katze für den Dreh rausrückt…

Nachts. Ich stehe allein im halbfertigen Atelierraum und mische eine DVD Hülle (die die Kamera nicht verfehlen kann) unter Solness´ Arbeitsunterlagen. „Les choses de la vie“ – Die Dinge des Lebens, von Claude Sautet. Jetzt kommt ein Bekenntnis: „Solness“ ist natürlich eine Hommage an den Sautet Film. Bloß nicht drüber reden…

22.1.15

Cumberbatch hat abgesagt, weil die Produktion keine Flugkosten übernehmen kann. Er schreibt mir eine wütende Mail. Die werde ich irgendwann beantworten, jetzt muss ich nach einer anderen Besetzung suchen…

Morgen geht´s los. Erste Klappe, im ersten eigenen Film. Ich bin nicht aufgeregt, seltsam ruhig. In meinem Alter sollte man vorsichtig sein, das Herz und so…

Die gute Nachricht: ein Marlon Brando Mantel für Sarbacher ist gefunden. Den trägt er fast den ganzen Film über, auch auf der Baustelle und bei seinem blutigen Tod. Die Kostümbildnerin warnt mich eindringlich, der Mantel sei nicht versichert und darf deswegen nicht dreckig werden…

Ab morgen wird alles anders…

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